Jüdisches Leben in Brühl
Im Oktober 1944 endeten 659 Jahre nachweisbarer Geschichte der Jüdinnen und Juden in Brühl, die eng mit der Geschichte der Stadt Brühl verknüpft ist: In den schriftlichen Quellen zur Brühler Stadtgeschichte werden bereits zur Stadtgründung 1285 Angehörige des Judentums erwähnt.
Als Blütezeit der Brühler jüdischen Gemeinschaft ist das 19. Jahrhundert mit dem Bau der Synagoge, welche im Jahr 1884 eingeweiht wurde, anzusehen. Mit Beginn der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten veränderte sich das Bild, es folgten wirtschaftliche Einschränkungen und gesellschaftliche Isolierung. Nach dem Novemberpogrom 1938 flüchteten viele Jüdinnen und Juden. 1942 erfolgten erste Verschleppungen in die Vernichtungslager. Im Oktober 1944 hatte Brühl keine jüdischen Einwohnenden mehr.
Alljährliches Gedenken zur Progromnacht
Bereits seit den frühen 1960er Jahren erinnert die Brühler Zivilgesellschaft an das Novemberpogrom von 1938. Seit 1988 findet jedes Jahr am 9. November ein Schweigegang durch die Innenstadt statt. Organisiert von Pax Christi (Ortsgruppe Brühl) und dem Förderverein Brühler Initiative für Völkerverständigung e.V. und mit Unterstützung der Stadt Brühl verlesen Brühler Bürgerinnen und Bürger am Abend des 9. November auf dem Leamington-Spa-Platz am Rathaus die Liste aller von den Nationalsozialisten getöteten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Paula und Helene Brünell – Ein Weg der Erinnerung
Über viele Jahre betrieben Paula und Helene Brünell gemeinsam mit ihrer Mutter ein angesehenes Kaufhaus für Textilwaren in der Brühler Innenstadt. In der Zeit des Nationalsozialismus erfuhren sie Terror, Entrechtung und Ausgrenzung. Im Jahr 1942 wurden die beiden Schwestern über Köln nach Minsk deportiert und in Maly-Trostinec ermordet. Zur Erinnerung an das Leben und Schicksal jener Frauen folgt ein Gedenkweg, quer durch Brühl, den wesentlichen Lebensstationen der Schwestern Brünell.
Paula und Helene Brünell – Ein Weg der Erinnerung
Stolpersteine in Brühl
"Ein Mensch – ein Stein – ein Schickal". Mit dem Projekt "Stolpersteine" des Kölner Künstlers Gunter Demnig wird seit 1992 aller verfolgten oder ermordeten Opfer des Nationalsozialismus gedacht – Juden, Sinti und Roma, politisch Verfolgte, religiös Verfolgte, Zeugen Jehovas, "Asoziale", Homosexuelle, geistig und/oder körperlich behinderte Menschen, Zwangsarbeitende und Deserteure – letztlich alle Menschen, die unter dem NS-Regime leiden mussten.
Die Stolpersteine sind würfelförmige Betonsteine, auf deren Oberseite sich eine von Hand beschriftete Messingplatte befindet. Auf dieser Messingplatte eingraviert sind Hinweise auf das Haus ("Hier wohnte…"), der Namen der Person, ihr Geburtsdatum sowie ein Hinweis auf ihr Schicksal. Die Steine werden meist vor dem letzten selbst gewählten Wohnort der Opfer der NS-Zeit in das Pflaster der Bürgersteige eingelassen.
Der Berliner Metallplastiker und Bildhauer Michael Friedrichs-Friedlaender steht seit 2005 für das Kunst- und Erinnerungsprojekt "Stolpersteine" in Kooperation mit Gunter Demnig und fertigt monatlich rund 440 Stolpersteine an.
Inzwischen wurden mehr als 70.000 Stopersteine in rund 2.000 Kommunen in 24 europäischen Ländern verlegt – auch in Brühl haben die Stolpersteine eine unübersehbare Spur gelegt. Anders als eine zentrale Gedenkstätte legt dieses Projekt die Spuren der Opfer des Nationalsozialismus bis hinein in den Alltag der Stadt. Die Stolpersteine sind ein Zeichen dafür, dass die Stadt Brühl die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus bewahren will. Sie finden dort ihren Platz, wo die Menschen einst friedlich in unserer Mitte gelebt haben. Das Projekt Stolpersteine hat sich längst zum weltweit größten dezentralen Mahnmal entwickelt.
Im Jahr 2002 hat der Rat der Stadt Brühl aufgrund der Initiative der Israel-AG des Max-Ernst-Gymnasiums folgenden Beschluss gefasst:
Der Rat beschließt, das Projekt "Stolpersteine" des Kölner Künstlers Gunter Demnig in Zusammenarbeit mit dem Künstler und der Israel-AG des Max-Ernst-Gymnasiums zu realisieren. Die Verwaltung kann dabei Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer, die das Verlegen von Stolpersteinen vor ihrem Haus strikt ablehnen, von diesem Projekt ausnehmen.
Die Israel-AG hat hierfür alle Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer angeschrieben, wobei überwiegend das Einverständnis zum Verlegen der Stolpersteine erklärt wurde – rund ein Drittel der Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer widersprach.
Am 11. Juli 2003 wurden schließlich die ersten 39 Stolpersteine auf dem Markt und in der Uhlstraße verlegt. Die 26 Stolpersteine, die wegen des fehlenden Einverständnisses der Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer nicht verlegt werden konnten, wurden am 17. Dezember 2003 durch Gunter Demnig auf dem Schulhof des Max-Ernst-Gymnasiums in die Erde eingelassen.
Um das Projekt "Stolpersteine" nach mehr als zehn Jahren zu einem Abschluss zu bringen und die auf dem Schulhof des Max-Ernst-Gymnasiums als "Zwischenlösung" verlegten Stolpersteine ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen, wurden die Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer zu Beginn des Jahres 2014 erneut angeschrieben und befragt, ob sie zwischenzeitlich der Verlegung vor ihren Häusern zustimmen.
Bürgermeister Freytag hat daran anschließend persönliche Gespräche mit den weiterhin ablehnend eingestellten Hauseigentümerinnen und Hauseigentümern geführt. Schließlich hat der Hauptausschuss in seiner Sitzung am 20. April 2015 beschlossen, im Zweifelsfall alle 26 Stolpersteine auch ohne ausdrückliche Zustimmung der Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer zu verlegen.
Die Verlegung von 18 Stolpersteinen erfolgte am 22. August 2015 im Beisein zahlreicher Bürgerinnen und Bürger sowie Vertretenden von Vereinen, Verbänden, der Israel-AG, des Rates, der Kirche sowie der Presse. Am 19. November 2015 wurden schließlich die letzten acht Stolpersteine an dem für sie vorgesehenen Platz in Brühl verlegt.
Am 2. Februar 2017 konnten die letzten acht von insgesamt 70 Stolpersteinen in Gedenken an die ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger an 24 verschiedenen Anschriften in Brühl verlegt werden.
Das jüdische Ehepaar Maria und Salomon Josef Eismann wurde mit seinem jüngsten Sohn Hermann (geboren 1923) im Jahr 1941 aus Köln deportiert und später im Konzentrationslager ermordet.
Ihren Kindern Nathan, Brigitte, Simon, Jakob und Johanna gelang zwischen 1935 und 1940 die Flucht bis in die damalige Tschechoslowakei, nach England, Australien und Palästina.
Am 5. Februar 2019 wurde im Beisein zahlreicher Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen, Verbänden und Kirchen, der Israel-AG, des Rates und der Presse mit dem 71. Stolperstein ein weiteres Zeichen gegen das Vergessen gesetzt.
Die kleine Messingtafel im Gehweg vor dem Haus in der Liblarer Straße 65 erinnert an Sibilla Agnes "Billa" Rombach, die hier mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater lebte und im Alter von 22 Jahren kurz vor Kriegsende am 1. April 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen starb.
Sie war im Mai 1943 als "Asoziale", wie es in den damaligen Unterlagen heißt, in Vorbeugungshaft genommen und zunächst in das KZ Ravensbrück deportiert worden, bevor sie nach Bergen-Belsen gebracht wurde.
Die Cousine von Billa Rombach, Edith Fischer, hat Nachforschungen angestellt und sich um die Erinnerung an ihre Cousine, die sie nicht mehr kennengelernt hat, bemüht. Frau Fischer hat ihren Wunsch an die Stadt Brühl herangetragen und so die Verlegung des Stolpersteines initiiert und auch die Patenschaft hierfür übernommen.
Vor geraumer Zeit haben Unbekannte in Brühl Stolpersteine gestohlen, die an die Familie Manes erinnern. Im September sind die gestohlenen Stolpersteine der Familie Manes vor dem Haus Markt 13 durch neu angefertigte Gedenksteine ersetzt worden.
Das jüdische Ehepaar Liba und Moritz Manes lebte mit seinen beiden Kindern Ruth und Georg bis zum Jahr 1939 in dem Haus Markt 13. Während der Vater deportiert wurde und die Mutter flüchten konnte, am Ende aber beide ermordet wurden, gelang Ruth die Flucht nach Palästina. Ihr jüngerer Bruder Georg, der 1939 zunächst gemeinsam mit der Mutter nach Litauen geflüchtet war, wurde im Jahr 1941 deportiert und konnte im Jahr 1945 im Konzentrationslager Dachau befreit werden. Heute lebt er mit seiner Familie in Israel.
Die Patenschaft für einen der neuen Steine haben dankenswerterweise Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme des Internationalen Bund, IB West gGmbH, aus Brühl übernommen. Sie haben anlässlich des Gedenktages zur Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz mit viel Engagement in der Bildungsstätte Spenden für einen Stolperstein gesammelt.
Die Opfer der nationalsozialisitischen Judenverfolgung in Deutschland können im Gedenkbuch des Bundesarchivs recherchiert werden.
Stolpersteine NRW – eine WDR-App gegen das Vergessen
Die rund 14.000 Stolpersteine in Nordrhein-Westfalen stehen im Mittelpunkt der neuen multimedialen WDR-App Stolpersteine NRW. Hinter jedem einzelnen Stolperstein verbirgt sich ein Leben, ein Schicksal. Mit Hilfe der App sollen der Lebens- und der Leidensweg dieser Menschen erlebbar gemacht werden.
Download:
Literaturempfehlung
Die Stadt Brühl hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Schicksale ihrer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erforschen und zu dokumentieren. Hierfür wurde die Autorin Frau Dr. Barbara Becker-Jákli beauftragt, die Geschichte der Juden in Brühl zu untersuchen und darzustellen.
Wir danken der Autorin Barbara Becker-Jákli für die Erlaubnis, ihre 1988 veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit "Juden in Brühl", herausgegeben als Band 14 der Schriftenreihe zur Brühler Geschichte, hier der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen zu dürfen. Das Buch ist ursprünglich unter der ISBN 3-926076-22-4 erschienen und leider nur noch antiquarisch erhältlich.
Download: Barbara Becker-Jákli, Juden in Brühl
Israel-AG des Max-Ernst-Gymnasiums der Stadt Brühl
Im Jahre 1977 reisten deutsche Schülerinnen und Schüler des städtischen Max-Ernst-Gymnasiums Brühl das erste Mal nach Israel. Ein Jahr später fand der Gegenbesuch von 20 israelischen Schülerinnen und Schülern vom 15. bis 29. August 1978 statt. Seitdem wird der kulturelle und gesellschaftspolitische Austausch zwischen den Jugendlichen beider Länder gepflegt, der langfristig zum gegenseitigen Verständnis und Verständigung führt.
Max-Ernst-Gymnasium der Stadt Brühl
Themenführung: Gegen das Vergessen
Die Stätten jüdischen Lebens in Brühl können alleine oder im Rahmen einer Führung besucht werden. Die Führung gewährt Einblicke in die Lebensumstände jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger über die Jahrhunderte hinweg bis zur Vertreibung und Vernichtung im Dritten Reich. Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig, eine besondere Form des Erinnerns, geben Einzelschicksalen ein Gesicht.
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